Hallo, ich bin in Russland
Hallo,
ich bin in Russland geboren, spreche fließend russisch, schreibe und lese. Ich spreche
akzentfrei deutsch und wurde in meinem Leben noch nie für einen Russen bzw. russlandstämmisch
gehalten. Ich fühle mich auch nicht wie ein Russe, denn meine Muttersprache ist Deutsch.
In Russland haben wir in einem Deutschen Dorf gewohnt. Deutsch gesprochen, Deutsch gelesen.
Meine Großeltern haben Ihr leben lang davon geträumt nach Deutschland auszuwandern. Man
erhoffte sich eben mehr Freiheit in der Ausübung seiner Kultur und schließlich war man ja
auch Deutscher in einem befremdlichen Land. Da meine Großeltern bereits davon träumten wurde
meine Mutter stetig mit Deutscher Kultur erzogen. Bei meinem Vater sieht es anders aus. Zur
besseren Integration im Land und um nicht als Deutscher aufzufallen, wurde meinem Vater kein
Deutsch beigebracht. Er spricht sehr schlecht Deutsch und hat sich in Deutschland nicht
integriert. Er hat nur "russische Freunde", spricht auf der Arbeit vorwiegend mit "Russen".
In Russland war er ein angesehener Akademiker, hier in Deutschland arbeitet er auf dem
Bau. Seine Errungenschaften in Russland wurden in Deutschland nicht anerkannt. Auch seine
Sprache verwehrte ihm den Zugang zur Integration. Folgend daraus fühlt er sich hier
weniger wertgeschätzt und bekommt auch höhnische Kommentare, wenn er sich nicht richtig
ausdrücken kann. Dies macht ihm zu schaffen, sodass er zur Flasche greift, um seinen
Schmerz zu unterdrücken.
Nach außen hin ist er der Stereotyp eines Russen und passt in das Bild der Vorurteile.
Meine Mutter und meine Geschwister hingehen werden für Deutsche gehalten.
Bezüglich des Hausbaus. Wir besitzen ein eigenes Haus verschuldet mit 90.000 Euro.
Wir haben keine Subventionen vom Staat oder den Kreditinstituten erhalten. Meine Eltern
arbeiteten hart, ohne Urlaub. Sie sind immer darauf bedacht die Kreditraten für das Haus
abzuzahlen.
Die Kommentare hier sind repräsentativ für meine Familie.
Auf der einen Seite ist hier mein Vater, der alle Klischees eines Russen erfüllt
so auch schnell auffällt. Da er nicht alleine ist und es zahlreiche Beispiele gibt
ist es nicht verwunderlich, dass einige Menschen ein Muster aus wiederkehrenden
Erfahrungswerten aufbauen. Klischees kommen meist aber nicht von ungefähr und daher
haben diese Muster eines Stereotypen eine Berechtigung.
Was aber falsch ist, ist dieses Muster auf alle russland-stämmischen zu übertragen.
Ich persönlich fühle mich dann falsch verstanden und angegriffen, was vielen so geht,
Kann aber vollkommen nachvollziehen woher dieses Bild eines Klischee-Russen kommt.
Daher bitte ich nur auf Grund wiederkehrende Erfahrungswerte nicht gleich ein Gesetz
maßgebend für alle anderen Fälle aufzustellen. Das hat uns in der Steinzeit zum überleben
weitergeholfen, ist heutzutage aber nicht mehr nötig, da ein Irrtum zu 99,99% nicht lebens-
bedrohliche Auswirkungen auf Sie haben wird.
Auf der anderen Seite würde ich einige russland-stämmische dazu bitten, solche Kommentare
nicht auf den IQ eines Menschen zu herabwürdigen. Solange man sich nicht bemüht die andere
Seite zu verstehen, werden diese Konflikte Vorurteile bestehen bleiben. Wie gesagt haben,
diese Vorurteile und Klischees nun mal Ihre Daseinsberechtigung. Solange wir einfach
immer nur Konter geben und nicht aufeinander eingehen, spalten sich die Gruppen immer
weiter.
In meiner nähe wohnte ein Neo-Nazi. Diese werden oft als ungebildet dumm abgestuft und
man möchte nichts mit Ihnen zu tun haben. Dann bleibt ein Neonazi weiterhin ein Neonazi.
Ich habe viel Zeit mit dem Neonazi verbracht, wir haben viel zusammen gelacht und er war
ein sehr netter "korrekter Typ". Nach einiger Zeit haben wir über seine Ideologie
gesprochen. Ich wollte mehr über seine Ansichten erfahren. Durch den Dialog hat er seine
Gedanken über Bord geworfen und auch einen seinen Freunde überzeugt.
Wenn wir früh genug einen Dialog suchen können wir Katastrophen wie auch den IS
frühzeitig vermeiden.