Diskussionen über den hessischen Entwurf und Kritik
Sowohl die in Medien als auch die dort stattfindenden Diskussionen zeigten, dass viele Fragen entweder nur subjektiv interpretierbare Wertefragen sind (zum Beispiel die, wie man seine Kinder erziehen sollte), oder doch nicht eindeutig genug gestellt sind, etwa die Frage nach dem höchsten deutschen Gericht: Die korrekte Antwort wäre aus Sicht eines Geographen wohl „Amtsgericht Titisee/Neustadt“ (kartographisch am höchsten gelegen), aber nicht die wohl erwartete Antwort „Bundesverfassungsgericht“. Kritiker des Entwurfs werfen den hessischen Behörden deshalb auch vor, den Fragebogen handwerklich schlecht entworfen zu haben. Insbesondere sind aus wissenschaftlicher Sicht mehrere Fragen nicht korrekt zu beantworten[5]: Weder ist das Bundesverfassungsgericht das „höchste deutsche Gericht“ (ein höchstes Gericht kann es nur innerhalb eines Instanzenzuges geben, das Bundesverfassungsgericht ist aber nicht Teil eines Instanzenzuges), noch ist der Bundesrat die „Vertretung der deutschen Länder auf Bundesebene“ (der Bundesrat ist ein Gesetzgebungsorgan des Bundes, das aus Mitgliedern der Regierungen der Länder besteht).
Ein weiterer Kritikpunkt ist der, dass die Frage nach den Freiheitsgraden – bezogen auf die bürgerliche Meinungsfreiheit selbst – in der Beantwortung unbeantwortet bleibt: Lässt die Fragestellung auch die eigenen bürgerlichen Interpretationsspielräume einer freiheitlichen Gesellschaft zu? Darf man zum Beispiel auch getrost schreiben, dass man zwar seine Grundrechte kennt, sich aber freiwillig und ohne fremden Druck selbst dazu entschieden hat, in gewissen Punkten lieber seiner zum Beispiel muslimischen Tradition zu folgen, etwa in der Frage Bewegungsfreiheit ohne Begleitung für Frauen? Und muss man von der Schulpflicht überzeugt sein, oder darf man auch sagen, man hätte lieber nur eine Unterrichts- oder Bildungspflicht, wie sie in anderen westlichen, parlamentarischen Demokratien ja durchaus üblich ist? Dadurch, dass keine Antworten vorgegeben werden, ist zudem nicht klar ersichtlich, wo die Grenzen der staatsbürgerlichen Beantwortungs- und somit der Meinungsfreiheit sind. Demzufolge äußern kritische Betrachter auch die Befürchtung, dass hier gleich zu Beginn des neuen Bürgerlebens einer staatlichen Willkür und Diskriminierung Tür und Tor geöffnet werden soll.
Neben den Antworten steht auch der Inhalt der Fragen selbst in der Kritik. So bezweifelte etwa der bekannte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, ob man wirklich ein bestimmtes Bild wie beispielsweise Kreidefelsen auf Rügen von Caspar David Friedrich kennen müsse, um deutscher Staatsbürger werden zu dürfen.
(Wikipedia)