Ich habe den bayerischen Einbürgerungstest soeben aus reinem Interesse ausgefüllt. Ich bin in Deutschland geboren, 47 Jahre alt, ohne migrativen Hintergrund, habe eine höhere Schulbildung und arbeite im Literaturbereich. Eigentlich sollte ich alle Voraussetzungen erfüllen, sämtliche Fragen korrekt zu beantworten ... aber ich kam unvorbereitet nur auf 90%. Nun gut, ich habe "bestanden" und muss mich somit nicht selbst ausbürgern, aber ich frage mich, wie viel Zeit Asylbewerber und zukünftige Mitbürger haben, um all jenes zu lernen, was mitunter unwichtig ist (z.B. genaue Jahreszahlen historischer Ereignisse, die höchsten von chronologischer Bedeutung der Ursache und Wirkung sind). Was ist mit jenen Menschen, die in ihren Heimatländern keine ausreichende Schuldbildung besaßen und somit ihrer eigenen Sprache schriftlich nicht mächtig sind? Wird ihnen das Lehrbuch zur Vorbereitung dieser kulturell-politischen Führerscheinprüfung vorgelesen?
Ich kritisieren zudem, dass es bei vielen Fragen um ehemalige deutsche Diktaturen geht. Welchen Eindruck will man damit politisch Verfolgten vermitteln, die selbst aus einer Diktatur und unter Lebensgefahr entkamen? Will man sie damit abschrecken oder belehren, dass wir in der Lage waren, uns demokratisch, sozial und rechtsstaatlich zu entwickeln - ihre Heimatländer jedoch nicht?
Ich halte diesen Test nicht wirklich für eine Integrationshilfe, sondern eher für eine Selektion, die schlimme historische Erinnerungen weckt. Es sind Menschen wie du und ich, deren "Güte, Anpassungsfähigkeit und Qualität" man nicht auf diese Art an ihrer Merkfähigkeit deutscher Kultur und Geschichte festmachen darf, sondern nur an der Begründung ihres Antrags auf Asyl. Vielleicht wäre es eher angesagt, die Entwicklung und Politik ihrer Heimatländer mit unserer kolonialen Historie in einem Fragekatalog abzugleichen, um ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, da Solches stets von Solchem kommt.
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